Gut Holz

Der Tischlerberuf hat den Mythos des Kreativen – doch immer mehr wird von Maschinen erledigt. Ein Rundgang über die Holzmesse Ligna.

„Holz ist Mist“ steht in riesigen Buchstaben an einer Stellwand – „man kann es nicht aus dem Internet herunterladen.“ Stimmt: Herunterladen lässt sich der Werkstoff nicht. Aber dafür anfassen, fühlen, riechen, bearbeiten – zum Beispiel auf der Holzmesse Ligna, die derzeit auf dem Messegelände läuft.
Ligna – das ist eine der kleinen, aber feinen Messen in Hannover. Hier gibt es die neusten Metabo-Kreis- und die stärksten Stihl-Kettensägen zu sehen, hier können alle zwei Jahre die präzisesten Nutfräsen bewundert und die schärfsten Äxte ausprobiert werden. Doch das Gros des Publikums interessiert sich für anderes, für Größeres. Automatisierung ist das Thema, auch in der Holzbranche. Die lebt zwar vom guten Ruf des „warmen Werkstoffs“ und davon, dass Holz viel mit Handarbeit zu tun hat. „Aber die Maschinen ermöglichen uns heute Sachen, die in Handarbeit kaum noch zu leisten wären“, sagt Ralf Klebe.
Der 54-jährige betreibt in Hannover eine Tischlerei am Tönniesberg, dritte Generation, zehn Mitarbeiter. Wohl jeder Hannoveraner kennt irgendwie seine Produkte, ohne es zu wissen. Der Großvater Fritz hat zum Beispiel die ovalen Fenster der Kuppelsaal-Halle gefertigt. Der Vater, ebenfalls Fritz, hat zahlreiche hannoversche Sparkassen- und Deutsche-Bank-Filialen eingerichtet. Die Bautischlerei hat sich im Laufe eines guten Jahrhunderts zur Möbeltischlerei gewandelt, die Kundschaft ist heute etwa zur Hälfte gewerblich, zur Hälfte privat. „Ein Tischler muss sein Handwerk beherrschen“, sagt Klebe, „und trotzdem ist es gut, dass es Maschinen gibt, die bestimmte Aufgaben heute viel schneller und präziser erledigen, als Handwerker das könnten.“
Maschinen – davon gibt es auf der Ligna viele und mächtige zu sehen. Eine Anlage vom Format eines mittleren Reihenhauses demonstriert, wie in wenigen Stunden aus Rohholz ein kompletter Dachstuhl entsteht. Wenige Meter weiter lässt sich beobachten, wie aus einer Computerzeichnung eine vollständige Küche erwächst, ohne Menschenhand. Liegt die Zukunft der Tischlerei in der Maschinenfertigung? „Nein“, sagt Ralf Klebe, „der Niedergang des Handwerks ist in Deutschland immer wieder vorhergesagt, aber er ist nicht eingetreten. Und das wird wohl auch so bleiben.“
Auch die Tischlerei Klebe bedient sich schon jetzt computergesteuerter Fertigung – aber bisher nur in Kooperation. „Bisher waren die Maschinen zu teuer“, sagt Klebe. Deshalb kooperiert er mit einer anderen Tischlerei. Wenn er spezielle computergesteuerte Fräsungen benötigt, hat er diese bisher im befreundeten Betrieb erledigen lassen. Jetzt, auf der Ligna, schaut er sich nach einer Anschaffung für den eigenen Betrieb um.
45.000 Euro kostet die „TF100 Projekt“ vom italienischen Hersteller Masterwood, eine 1,5 Tonnen schwere Fräse mit Bohr- und Sägeköpfen. Holzplatten von bis zu einem Meter Breite und sechs Zentimetern Stärke können in nahezu jede Form verarbeitet werden. Ob am Ende des Fertigungsprozesses eine sanft geschwungene Designschale für Erdnüsse oder ein Türblatt für den Schlafzimmerschrank entstanden ist, das bestimmt das Computerprogramm. Als Messerabatt gibt es einen Satz diamantbestückter Werkzeugköpfe dazu – Wert 750 Euro, wirbt Verkäufer Randolph Rose. Wobei „Verkäufer“ auf Fachmessen der falsche Begriff ist – hier sind alle irgendwie Experten. Randolph Rose ist Techniker und würde die Maschine in der Tischlerei Klebe auch gleich installieren und einrichten. Dann müssten nur noch die Mitarbeiter geschult werden. „Wer schon etwas mit Computern gemacht hat, der lernt den Umgang in vier Stunden“, sagt Rode, „alle anderen an einem Tag.“ Unternehmer Klebe will aber noch einmal über die Investition nachdenken – Entscheidungen über so hohe Summen trifft man nicht im Vorbeigehen.
Sie belasten das Tischlerhandwerk auch ungewöhnlich hart. Der Stundensatz liegt in der Regel bei rund 45 Euro während Maler rund 42 Euro nehmen. „Eine moderne Tischlerei braucht Maschinen im Wert von mehreren Hunderttausend Euro, während der Maler – überspitzt gesagt – nur Pinsel und Transporter benötigt“, sagt Klebe. Dafür hat das Holzhandwerk einen anderen Vorteil: Es hat weniger Nachwuchsprobleme als viele andere Branchen des Baugewerbes. Tischlern – das gilt als relativ sauberes Handwerk (trotz der Späne – aber die werden inzwischen von riesigen Sauganlagen entfernt), es hat den Ruf, relativ selbstständiges Arbeiten zuzulassen, und wegen seiner Nähe zum Design zieht es häufig kreative Köpfe an. „Wir haben relativ gute Bewerber“, sagt Klebe, „sogar Abiturienten sind häufig dabei – auch wenn die später oft noch ein Studium dranhängen und für unsere Branche verloren sind.“ Die Zahl der Tischlerbetriebe in Niedersachsen ist nahezu stabil – innerhalb von zwölf Monaten von 3673 um 50 gesunken. Mehr als die Hälfte der Innungsbetriebe schätzt die Lage als gut oder sehr gut ein, heißt es beim Verband Tischler Nord.
Wie es mit dem eigenen Betrieb einmal weitergehen wird, weiß Klebe noch nicht. Von den eigenen Kindern wird ihn wohl niemand übernehmen, vermutet er. „Die machen ihr Studium und gehen ihren Weg – vielleicht findet ja später noch einer von ihnen Gefallen daran.“ Denn er selbst liebt diesen Beruf – trotz der zunehmenden Technisierung: „Es ist eine Freude, wenn etwas fertig geworden ist und dem Kunden gefällt.“

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 13. Mai 2015 – Conrad von Meding